Lukrative Selbstzensur
„…aus Angst vor Gefährdung selbst vorgenommene Kontrolle, Überprüfung der eigenen Gedanken, Handlungen, der eigenen Werke, Schriften o. Ä.“ steht im weltweiten Netz zur Erklärung der Selbstzensur geschrieben.
So Dolle ist das grad nicht. Angst habe ich schon mal gar nicht, da ich einiges erlebt habe. Ausstellungsverbot, Überwachung und sogenannte Zersetzungsmaßnahmen durch den Staatssicherheitsdienst der Deutschen Demokratischen Republik. Dies härtet ab.
Nicht erst 1983 kristallisierte sich heraus, dass unsere Leben im real existierenden Sozialismus zeitlich begrenzt sein wird. 1984 wurde die Entscheidung getroffen und es folgten die üblichen Repressionen.
Nacktheit kann in der Kunst nicht nur Sinnlichkeit ausdrücken. Sondern daneben Verletzlichkeit und Qual. Andererseits war sie – wir denken an die FKK-Kultur, – auch ein Zeichen der Freiheit. Zumal sie in der Hippie-Bewegung in der real existierenden Diktatur eine ganz eigene Bedeutung bekam.
Denn es verhält sich derzeit so. Ich habe einfach keine Lust mehr, mich mit der unreflektierten Verallgemeinerung einer berechtigten gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu sexuellen Übergriffen auseinanderzusetzen.
Die Kunst ist die falsche Adresse. Wenn Menschen, die etwas „mit Kunst machen“, übergriffig werden oder gar als Straftäter belangt werden, hat dies nichts mit ihrem Werk zu tun. Mit meinem schon garnicht!
Eigentlich ging ich davon aus, dass dies für aufgeklärte TheoretikerInnen des Kunstwesens ein Allgemeinplatz sein müsste.
Nein, ich fange jetzt nicht an Caravaggio und die ganze böse Künstlerschar als Kronzeugen der Trennung von Kunstwerk und Künstler ins heiß umkämpfte Feld zu führen. Denn es ist so trist und langweilig selbstverständliches immer wiederzukäuen.
Ich könnte an dieser Stelle auch einen Diskurs über Kunst, Sexualität und Geschlechter Konstruktionen in der abendländischen Kultur beginnen.
Aber ist dies mein Job? Ich bin Bildermaler, Textschreiber, Imbissbuden- und Bratwurstforscher. Später vielleicht. Aber nicht hier und jetzt.
Die Venus von Willendorf ist die Venus von Willendorf und nur ein Beispiel, dass sich der Mensch schon immer mit seiner Leiblichkeit auseinandersetzte.
Ja, ebendies macht den Menschen in seiner Menschlichkeit aus. Mein Entschluss zur lukrativen Selbstzensur ermöglicht es mir, gut zu essen und zu trinken. Mir öffentlich aus Protest ein Ohr oder ein anders Körperteil abzuschneiden, liegt mir fern, auch wenn dies aus Marketinggründen zielführend wäre.
Jedoch ist es um die #MeToo Debatte ein wenig ruhiger geworden und Bilder mit nackten Frauen werden im Übrigen derzeit nicht mehr öffentlichkeitswirksam aus Sammlungen entfernt und in die Archive verbannt, denn dies funktioniert auch leise.
Der moralische Totalitarismus, der nicht das Geringste mit Aufklärung zu tun hat, sondern sein Gegenteil darstellt, hinterlässt einen enormen Flurschaden. Denn das Undenkbare ist geschehen.
Unsere liberale Gesellschaft hat die Kunstfreiheit einer hysterischen Minorität geopfert.
Es geht nicht mehr um Zensur. Es geht um Selbstzensur. Der – von männlichen Kunstschaffenden – zum Thema gemachte weibliche Leib scheint aus dem Ausstellungsbetrieb so gut wie verschwunden. Da schlägt die institutionelle Definitionsmacht unerbittlich zu.
Natürlich wird diese Ausgrenzung nicht öffentlich gemacht. Dem Künstler jedoch bei Gelegenheit mündlich mitgeteilt „Das man so etwas“ nicht ausstelle.
Dabei ist dies nicht immer bös gemein. Die Damen und Herren Kuratoren etc. üben sich lediglich in vorauseilendem Gehorsam und haben keine Lust, sich mühseligen Diskussionen zu stellen. Also auch hier Selbstzensur – jedoch durch aktiv ausgeübte Zensur.
Und dies zu allem Übel oft aus Bequemlichkeit. Denn man möchte sich keinen Ärger einhandeln und zu Rechtfertigungen gezwungen sein.
Freilich ist diese Selbstaufgabe demokratischer Selbstverständlichkeiten nicht mit einer Diktatur und deren Auswirkung auf die Kunst zu vergleichen.
Bedenklich ist dieser Zustand jedoch schon. Zumal derzeit ein brüllendes Schweigen herrscht und bestimmte Kunstbenutzer diese Situation nutzen, um ihr lauwarm-trübes Süppchen im öffentlich finanzierten Raum zu kochen. Wenn auch nur EINER oder EINE dieser Zensoren ein plausible Begründung für SEINE oder IHRE Haltung liefern würde müsste man nicht von einer krankhaften Gymnophobie ausgehen. Da ich jedoch nicht vermute das dieses Verhalten auf eine pathologische Angststörung zurückzuführen ist, was entschuldbar wäre, muss angenommen werden, dass es sich um eine ganz miese menschliche Eigenschaft handelt. Opportunismus aus Egoismus.
Durch diesen zensorischen Eifer ist Schaden entstanden, der vielleicht erst durch die nächste Generation wissenschaftlich ausgewertet und erkennbar gemacht werden kann. Was die Kunsttheorie in ihrem Aktionismus zu vergessen scheint, sie hat einen Einfluss auf die Kunst. Zumeist leider keinen guten. Denn diese TheoretikerInnen bestimmt durchaus, was gezeigt und wahrgenommen wird.
Jedoch gibt es auch andere und außerdem ausgesprochen lukrative Spielfelder, die außerhalb ihres Sperrfeuers liegen und auf denen man sich ungestört bewegen kann.
Meine lukrative Selbstzensur ist ein legitimes Mittel, da diese durch die Selbstbezogenheit keinen Schaden anrichtet.
Zumal ich mich mit meinen Naturdarstellungen plötzlich in einem neuen oder doch nicht ganz so neuen Kontext wiederfinde. Dieses Metier hat eine lange Tradition. Berufe ich mich doch auf Sybilla Merian, mit der ich gleichsam aufgewachsen bin. Reproduktionen von Ihren Arbeiten hingen in meinem Elternhaus. Durch die lukrative Selbstzensur kamen ihre Motive in meinem Werk zum Tragen und werden zwischen Soll und Haben verbucht
Die Flüchtigkeit des Lebens und die damit einhergehende Melancholie begleiten mein Werk von Anfang an.
Denn meine als sexistisch verunglimpften Darstellungen von nackten Frauen sind meist eine Inkarnation von Vergänglichkeit und Melancholie. Um dies weiter auszuführen, bedarf es einen neuen, darauf fokussierten Text. Wer Augen hat, schaue und sehe.
Was ist letztendlich der lukrative Aspekt an meiner Selbstzensur? Dies ist kurz geschildert. Die Arbeiten, die der menschfreien Natur gewidmet sind, verkaufen sich, salopp ausgedrückt wie warme Semmeln.
Und dass ist im Übrigen auch gut so. Einerseits hat die Kunst ganz nebenbei die Aufgabe, ziemlich zwecklos schön zu sein. Und andererseits könnten die Rezipienten dieser Werke auf die Idee kommen, dass es angebracht ist, die Natur zu schützen. Jedoch habe ich schon lang die Hoffnung aufgegeben, irgendetwas mit Kunst erreichen zu können. Wenn es hochkommt, kann sie die Gegenwart reflektieren. Kunst ist eben keine Waffe, sondern im besten Fall eine süße Waffel.