Lukrative Selbstzensur
„…aus Angst vor Gefährdung selbst vorgenommene Kontrolle, Überprüfung der eigenen Gedanken, Handlungen, der eigenen Werke, Schriften o. Ä.“ steht im weltweiten Netz zur Erklärung der Selbstzensur geschrieben.
So dolle ist das grad nicht. Angst habe ich schon mal gar nicht. Ich habe einiges erlebt: Ausstellungsverbote, Überwachung und sogenannte Zersetzungsmaßnahmen durch den Staatssicherheitsdienst der Deutschen Demokratischen Republik. Solche Erfahrungen härten ab.“
In Zeiten, in denen Kunst und Künstler zunehmend unter Druck geraten, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass wahre Kreativität und künstlerische Freiheit oft in den Widerständen des Lebens geformt werden. Die Herausforderungen, denen ich mich in der Vergangenheit stellen musste, haben mir gezeigt, dass Kunst immer auch ein Akt des Widerstands ist. Sie ist ein Ausdruck der Freiheit, die sich nicht so leicht unterdrücken lässt. Wer einmal erlebt hat, wie seine Werke verboten und überwacht wurden und wie der eigene Geist systematisch unterdrückt werden sollte, der lernt, dass Kunst immer ihren Weg findet, ob im Verborgenen oder im Offenen. Diese Erfahrung hat mich nicht nur abgehärtet, sondern auch stärker gemacht.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass man in der Manier des Sisyphos sein gesamtes Leben verbringen muss.
Zumal, wenn in der wohlhabenden Welt eine kollektive geistige Verblödung epidemisches Ausmaß annimmt.
Nachtrag von 23. Oktober 2024 bezüglich eines Stasi-Dokumentes vom 19. Juni 1984
Wenn man sich öffentlich äußert, gibt es hin und wieder Reaktionen. Ein Freund, der die DDR-Diktatur erlebt hat, wies mich kürzlich darauf hin, dass ich das Thema Zensur möglicherweise zu leicht nehme – und dass dies nicht unbedingt klug sei, besonders für die nachfolgenden Generationen. Sie sollten wissen, was damals geschah und wie die staatlich verordnete Zensur die Wahrheit verdrängte.
Dabei stehen wir heute erneut an einer kritischen Schwelle. Vielleicht denken Sie jetzt an bestimmte Parteien, denen man nachsagt, sie würden nur zu gern Zensur einführen. Das ist sicher kein Geheimnis. Aber ist es nicht viel beunruhigender, dass im aktuellen Kunstbetrieb eine stille, subtile Form der Zensur stattfindet, die niemand wagt, offen anzusprechen, obwohl sie für alle sichtbar ist.
Ein konkretes Beispiel dafür ist die zunehmende Zensur von Darstellungen nackter weiblicher Körper in der Kunst.
Museen und Galerien sehen sich immer häufiger gezwungen, Werke abzuhängen, die in früheren Zeiten als völlig akzeptabel galten. In jüngster Vergangenheit wurden Werke, die den nackten weiblichen Körper zeigen, von Ausstellungen entfernt, weil sie als „anstößig“ oder „problematisch“ angesehen werden. Diese Art der Zensur geschieht oft unter dem Deckmantel von „gesellschaftlicher Sensibilität“, aber im Kern ist es eine Einschränkung der künstlerischen Freiheit.
Die Zensur heute ist nicht mehr so offensichtlich wie zu Zeiten der DDR, als der Staat direkt in die Kunstproduktion eingriff. Stattdessen handelt es sich um eine „kalte Zensur“, die von sozialen Normen und dem Druck der Öffentlichkeit ausgeübt wird. Künstler und Institutionen haben Angst vor öffentlichen Shitstorms und wirtschaftlichen Konsequenzen. Diese stillschweigende Übereinkunft, bestimmte Themen oder Darstellungen zu meiden, ist eine besonders gefährliche Form der Zensur, weil sie schleichend und oft kaum wahrnehmbar ist.
Wenn wir als Gesellschaft zulassen, dass solche Mechanismen greifen, dann verlieren wir nicht nur einen Teil unserer künstlerischen Freiheit, sondern auch die Möglichkeit, uns mit kontroversen und komplexen Themen auseinanderzusetzen.
Kunst hat immer eine kritische Funktion erfüllt und uns mit gesellschaftlichen Widersprüchen konfrontiert – wenn diese Aufgabe durch subtile Zensur eingeschränkt wird, verlieren wir einen wesentlichen Teil unserer kulturellen Vielfalt.
Nicht erst 1983 kristallisierte sich heraus, dass unsere Leben im real existierenden Sozialismus zeitlich begrenzt sein wird. 1984 wurde die Entscheidung getroffen und es folgten die üblichen Repressionen.
Nacktheit kann in der Kunst nicht nur Sinnlichkeit ausdrücken. Sondern daneben Verletzlichkeit und Qual. Andererseits war sie – wir denken an die FKK-Kultur, – auch ein Zeichen der Freiheit. Zumal sie in der Hippie-Bewegung in der real existierenden Diktatur eine ganz eigene Bedeutung bekam.
Es verhält sich derzeit so: Ich habe einfach keine Lust mehr, mich mit der unreflektierten Verallgemeinerung einer berechtigten gesellschaftlichen Auseinandersetzung über sexuelle Übergriffe auseinanderzusetzen.
Die #MeToo-Bewegung hat wichtige und notwendige Gespräche über Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt angestoßen, und diese Diskussionen sind essenziell für eine gerechtere und sicherere Gesellschaft.
Doch in der aktuellen Debatte wird oft übersehen, dass die Kunst nicht der Ort ist, um pauschale Urteile zu fällen. Wenn Menschen, die ‚etwas mit Kunst machen‘, übergriffig werden oder gar strafrechtlich belangt werden, hat das nichts mit ihrem künstlerischen Werk zu tun. Diese Taten sprechen für die Person, nicht für die Kunst.
Ich möchte klarstellen, dass mein Werk für sich selbst steht und in keiner Verbindung zu den Handlungen anderer Künstler oder Personen in der Kunstwelt steht. Es ist problematisch und kurzsichtig, das kreative Schaffen mit den Fehlern oder Vergehen einzelner Personen zu vermischen. Kunst sollte uns dazu anregen, über die Gesellschaft und uns selbst nachzudenken – sie sollte uns herausfordern und zum Dialog einladen, aber sie ist nicht der Sündenbock für das Verhalten Einzelner. Wir müssen differenzierter denken und zwischen dem Werk und der Person, die es geschaffen hat, unterscheiden. Nur so können wir den Wert der Kunst in ihrer ganzen Tiefe und Bedeutung verstehen.“
Eigentlich ging ich davon aus, dass dies für aufgeklärte TheoretikerInnen des Kunstwesens ein Allgemeinplatz sein müsste.
Nein, ich fange jetzt nicht an, Caravaggio und die ganze ‚böse‘ Künstlerschar als Kronzeugen der Trennung von Kunstwerk und Künstler ins heiß umkämpfte Feld zu führen. Denn es ist so trist und langweilig, Selbstverständliches immer wiederzukäuen. Natürlich könnte man unzählige Beispiele aus der Kunstgeschichte anführen, bei denen das Werk über die moralischen Verfehlungen seines Schöpfers hinausgeht und weiterbesteht. Aber gerade, weil das so offensichtlich ist, sollte es eigentlich keiner weiteren Erwähnung bedürfen.
Ich könnte an dieser Stelle auch einen Diskurs über Kunst, Sexualität und Geschlechter Konstruktionen in der abendländischen Kultur beginnen.
Aber ist dies mein Job? Ich bin Bildermaler, Textschreiber, Imbissbuden- und Bratwurstforscher. Später vielleicht. Aber nicht hier und jetzt.
Die Venus von Willendorf ist die Venus von Willendorf und nur ein Beispiel dafür, dass sich der Mensch schon immer mit seiner Leiblichkeit auseinandersetzte.
Bereits in der Steinzeit spiegelten die Darstellungen der Venusfiguren wie die Venus von Willendorf eine tiefe Auseinandersetzung mit Sinnlichkeit, Leiblichkeit und Sexualität wider. Diese kleine, üppig geformte Figur, die vor etwa 25.000 Jahren geschaffen wurde, verkörpert nicht nur Fruchtbarkeit und Weiblichkeit, sondern auch das uralte Bedürfnis des Menschen, seine körperliche Existenz künstlerisch zu erforschen. Diese Auseinandersetzung zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Kunstgeschichte – von den antiken Idealen des menschlichen Körpers über die erotische Kunst der Renaissance bis hin zur expressiven Aktmalerei und den provokanten Körperperformances der Gegenwart. Jede Epoche und jedes künstlerisches Individuum hat seine eigenen Ausdrucksformen gefunden, um Sinnlichkeit und Sexualität zu thematisieren und die Grenzen des Darstellbaren auszuloten.
Jedoch ist es um die #MeToo Debatte ein wenig ruhiger geworden und Bilder mit nackten Frauen werden im Übrigen derzeit nicht mehr öffentlichkeitswirksam aus Sammlungen entfernt und in die Archive verbannt, denn dies funktioniert auch leise.
Der moralische Totalitarismus, der nicht das Geringste mit Aufklärung zu tun hat, sondern sein Gegenteil darstellt, hinterlässt einen enormen Flurschaden. Denn das Undenkbare ist geschehen.
Unsere liberale Gesellschaft hat (derzeit) die Kunstfreiheit einer hysterischen Minorität geopfert.
Es geht nicht mehr um Zensur. Es geht um Selbstzensur. Der – von männlichen Kunstschaffenden – zum Thema gemachte weibliche Leib scheint aus dem Ausstellungsbetrieb so gut wie verschwunden. Da schlägt die institutionelle Definitionsmacht unerbittlich zu.
Natürlich wird diese Ausgrenzung nicht öffentlich gemacht. Dem Künstler jedoch bei Gelegenheit mündlich mitgeteilt „Das man so etwas“ nicht ausstelle.
Dabei ist dies nicht immer bös gemein. Die Damen und Herren Kuratoren etc. üben sich lediglich in vorauseilendem Gehorsam und haben keine Lust, sich mühseligen Diskussionen zu stellen. Also auch hier Selbstzensur – jedoch durch aktiv ausgeübte Zensur.
Und dies zu allem Übel geschieht solches oft aus Bequemlichkeit. Denn man möchte sich keinen Ärger einhandeln und zu Rechtfertigungen gezwungen sein.
Freilich ist diese Selbstaufgabe demokratischer Selbstverständlichkeiten nicht mit einer Diktatur und deren Auswirkung auf die Kunst zu vergleichen.
Bedenklich ist dieser Zustand jedoch schon. Zumal derzeit ein brüllendes Schweigen herrscht und bestimmte Kunstbenutzer diese Situation nutzen, um ihr lauwarm-trübes Süppchen im öffentlich finanzierten Raum zu kochen. Wenn auch nur EINER oder EINE dieser Zensoren ein plausible Begründung für SEINE oder IHRE Haltung liefern würde müsste man nicht von einer krankhaften Gymnophobie ausgehen. Da ich jedoch nicht vermute das dieses Verhalten auf eine pathologische Angststörung zurückzuführen ist, was entschuldbar wäre, muss angenommen werden, dass es sich um eine ganz miese menschliche Eigenschaft handelt. Opportunismus aus Egoismus.
Durch diesen zensorischen Eifer ist Schaden entstanden, der vielleicht erst durch die nächste Generation wissenschaftlich ausgewertet und erkennbar gemacht werden kann. Was ideologiegetriebene Kunsttheorie in ihrem Aktionismus zu vergessen scheint, sie hat einen Einfluss auf die Kunst. Zumeist leider keinen guten. Denn diese TheoretikerInnen bestimmen durchaus, was gezeigt und wahrgenommen wird und schaffen in dem aktuellen Fall ein vergiftetes Kunstklima.
Jedoch gibt es auch andere und außerdem ausgesprochen lukrative Spielfelder, die außerhalb ihres Sperrfeuers liegen und auf denen man sich ungestört bewegen kann.
Meine lukrative Selbstzensur ist ein legitimes Mittel, da diese durch die Selbstbezogenheit keinen Schaden anrichtet.
Zumal ich mich mit meinen Naturdarstellungen plötzlich in einem neuen oder doch nicht ganz so neuen Kontext wiederfinde. Dieses Metier hat eine lange Tradition. Berufe ich mich doch auf Sybilla Merian, mit der ich gleichsam aufgewachsen bin. Reproduktionen von Ihren Arbeiten hingen in meinem Elternhaus. Durch die lukrative Selbstzensur kamen ihre Motive in meinem Werk zum Tragen und werden zwischen Soll und Haben verbucht
Die Flüchtigkeit des Lebens und die damit einhergehende Melancholie begleiten mein Werk von Anfang an.
Meine oft als sexistisch verunglimpften Darstellungen von nackten Frauen sind in Wirklichkeit meist eine Verkörperung von Vergänglichkeit und Melancholie. Sie den Betrachter einladen, tiefer zu schauen und die subtilen Schichten und Nuancen zu entdecken, die hinter den nackten Leibern verborgen liegen. In meinen Arbeiten geht es um mehr als nur um die äußere Form des Körpers – es geht um die innere Fragilität des menschlichen Daseins, die ständige Präsenz von Vergänglichkeit und den Schmerz des unausweichlichen Verlusts.
Diese Darstellungen sind inspiriert von der langen Tradition des Memento Mori in der Kunstgeschichte, die den Betrachter an die Sterblichkeit und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens erinnert. Ob in der subtilen Traurigkeit eines Gesichts oder in der bewusst gewählten Körperhaltung, jede Figur ist eine Metapher für die Vergänglichkeit und das melancholische Bewusstsein um die flüchtige Natur des Seins.
Was ist letztendlich der lukrative Aspekt an meiner Selbstzensur? Nun, das ist schnell erklärt: Die Arbeiten, die der menschfreien Natur gewidmet sind, verkaufen sich, salopp gesagt, wie warme Semmeln.
Und das ist, man muss es zugeben, auch gut so. Einerseits hat die Kunst schließlich die edle Aufgabe, zwecklos schön zu sein – ein Luxusgut für die Augen, wenn man so will. Andererseits könnte man meinen, die Betrachter dieser Werke könnten beim Anblick der idyllischen Landschaften und naturverbundenen Darstellungen plötzlich auf die glorreiche Idee kommen, dass es vielleicht an der Zeit wäre, die Natur zu schützen. Doch, um ehrlich zu sein, habe ich schon lange die Hoffnung aufgegeben, mit Kunst irgendetwas Großes bewirken zu können.
Kunst ist keine Waffe, sondern – wenn überhaupt – eine süße Waffel: hübsch anzusehen, vielleicht auch ein wenig sättigend, aber kaum geeignet, das politische Schlachtfeld der Weltgeschichte nachhaltig zu beeinflussen.
Denn Hand aufs Herz, wenn Kunst wirklich die Kraft hätte, den Lauf der Dinge zu ändern, dann hätte vermutlich spätestens nach dem ersten impressionistischen Sonnenuntergang die globale Erwärmung aufgehört.
Nein, Kunst reflektiert bestenfalls die Gegenwart. Sie ist ein eleganter Spiegel, der die Realität ein wenig verschönert – oder verunstaltet, je nach Geschmack – und dem Betrachter eine leichte Ahnung davon gibt, dass vielleicht doch mehr hinter dieser großen Show namens Leben steckt. Aber die Illusion, dass Kunst die Welt retten kann? Die habe ich irgendwo zwischen dem zweiten und dritten Glas Rotwein verloren.
Letztlich bleibt also die süße Ironie: Je mehr ich meine eigenen Impulse zensiere und mich auf die schöne, menschfreie Natur konzentriere, desto besser verkauft sich das Ganze. Aber warum auch nicht? Solange die Welt nicht durch Kunst gerettet wird, kann ich immerhin davon leben. Und das ist doch schon mal was – besser als gar keine Waffel.
Lukrative Selbstzensur. Um auf den Punkt zu kommen. Eigentlich dreht sich alles um die mystische Möhre.
NACHTRAG
Nachdem „Kuratorinnen“ in der Hamburger Kunsthalle mit ihrer Ausstellung Femme Fatale ein Fanal der Kunstfeindlichkeit inszeniert haben, zeigt die Ausstellung der Hamburger Deichtorhallen in der Ausstellung DIX UND DIE GEGENWART Bezugslinien der Auseinandersetzung mit dem menschlichen Leib. Die Kuratorin und ausgewiesene Dix-Kennerin Dr. Ina Jessen vermag es unterschiedlichste künstlerische Positionen mit Bezügen zu Otto Dix in einer einzigartigen Ausstellung zusammenzuführen.
Es besteht die Hoffnung, dass sich die sachliche Auseinandersetzung mit Kunst durchsetzt.
Ein weiterer Text des Künstlers zu diesem Thema: Frühkindlicher Sexismus – oder wie ich die Kunst entdeckte.
Es ist nicht nur ein tolles Wortspiel,wenn ich den Modebegriff „toll“,der ja ,siehe „Toll – Wut“, einen recht anderen semantischen Ursprung hat, mal verwenden darf,es trifft auch ,wenn man sich z.B. durch Instagram scrollt, die Tendenz,den Weg von der Waffe (der Erkenntnis…“ zur süßen Waffel,vielleicht aber kommt der Tag, da wer herausfindet,dass doch dieser Falter oder jenes Pflänzchen sexistisch – symbolisch tradiert sind ??? Dank für die Überlegungen.C.V.