Klare Linie im Gewirr
Hans Machowsky verfasste für die Zeitschrift Bildende Kunst des Jahres 1905 einen Text mit dem Titel „Anselm Feuerbach ein Heldenleben“.
Darin wird der frühe Biograf Feuerbachs Julius Allgeyer, der auch Kupferstecher war, in Bezug auf seine künstlerische Arbeit nicht gerade vorteilhaft erwähnt.
Ob aus Neid, weil der gelernte Kupferstecher mit Anselm Feuerbach befreundet war und seine Gemälde nicht nur in Kupfer stechen durfte, sondern auch die erste Feuerbachbiografie schrieb, lässt sich nicht sagen. Eventuell kommt hier aber ein früher Dissens zwischen Kunsttheorie und Kunstpraxis ans Tageslicht, der bis heute trägt.
Zitat: „In der Jugend kränklich, kam er 1856 nach Rom und betrieb dort den langweilig sauberen Linienstrich nach religiösen Vorlagen gleichgültiger Herkunft.“
Leider habe ich über die heute üblichen Recherchemöglichkeiten vom sichern Schreibtisch aus keinen Linienstrich von Julius Allgeyer finden können. Gleichwohl lasse ich mir die saubere Linie nicht kaputtreden. Denn die Linie war der Anfang von allem. Die ersten Höhlenmalereien stammen von anatomisch modernen Menschen. Genannt Cro-Magon-Mensch. Sie sind zwischen 40 und 60 Tausend Jahre alt und noch gut erhalten, was man von den Datenträgern der Neuzeit nicht erwarten kann. Die Grundlage dieser frühen Zeugnisse menschlicher Selbstreflexion war die Linie.
Ein Strich, eine Linie ist viel mehr, als man denken mag und ausgesprochen komplex.
Denn sie bildet eine Grenze rechts, links, oben und unten von dem von Menschenhand gezogenen Strich. Sie beeinflusst ihre Umgebung.
Umfasst diese Linie ein gedachtes Gebilde, entsteht eine Binnen- sowie eine Außenform und bildet damit einen lebendigen oder „unlebendigen“ Gegenstand. Der Strich ist also die Grundlage einer jeden Bildnerei und der Komposition ohnehin. Denn Binnen- und Außenformen haben unterschiedliche Wertigkeiten. Sie sind die Gewichte, welche sich ergänzen und eine melodische Abfolge entstehen lassen die wir Komposition nennen.
Wie lernte man nun in meiner Zeit (1975-80) an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst ein „Bild zu machen“?
Zuerst benötigte man ein Werkzeug. Einen simplen Bleistift. Weicher als 3 B sollte er nicht sein, um auch präzise arbeiten zu können. Dieses Werkzeug musste für die Arbeit vorbereitet werden. Man spitzt den Stift an. Dies ist gut und richtig. Jeder kennt den Vorgang. Selbst die Filzschreiber- und Wischhandygeneration sollte dieses Fossil noch kennen.
Meine Lehrer missbilligten jeden, der Hilfsmittel, wie Bleistiftspitzer zur Vorbereitung benutzte
Ein eigenhändig auf dem Schleifstein geschärftes Messer musste es sein. Nach dem Ritual des Spitzens hatte man das Format festzulegen. Um dieses zu verinnerlichen, zeichnete der Eleve der bildhaften Künste an den Außenkanten des zu bearbeitenden Blattes eine Linie, um die Dimensionen des Papieres zu verinnerlichen. Ein halbes Jahr wurden Porträts griechischer Götter nach Abgüssen antiker Plastiken gezeichnet. Abends gab es Anatomieunterricht. Erst nach der Absolvierung dieser Exerzitien durften wir nach dem lebenden Modell arbeiten. Das wir Vorlesungen in Kunstgeschichte besuchten mussten versteht sich von selbst. Meine Abschlussarbeit befasste sich mit Fra Filippo Lippi.
Wer den Anforderungen nicht gerecht wurde, wurde exmatrikuliert.
Das Zeichnen begleitete und begleitet mich auch heute noch, denn es ist mein verlängertes Auge.
Schule des Sehens genannt. Schweifen wir ab und kommen zum Strich und seinen Eigenheiten – der Kunst des Fehlers und was diesen so wertvoll macht.
Wir wissen, dass ein Stil, also die Merkmale einer künstlerischen Entäußerung durch viele Faktoren gebildet wird.
Zeit, Umfeld, Lebensgefühl und die eigene Haltung. Sicher noch vieles mehr. Aber was bedeutet eine künstlerische Handschrift. Giorgio Vasari nennt sie „maniera“. Also die Art und Weise, wie man etwas tut. Roger de Piles nennt sie Charakter.
Ich meinerseits behaupte, dass die Handschrift auf eine persönliche Eigenheit und Einzigartigkeit zurückzuführen ist.
Man könnte es auch einen Fehler nennen, der von der Norm abweicht. Dieser entsteht zwischen Gehirn und der Hand, die das Werkzeug zum „Bildnern“ hält oder selbst Material formt. Die Fehlerintensität ist besonders bei kreativen Menschen groß und oft auch Regelbrechend.
Restauratoren und Kopisten vermögen es, die eigene Handschrift auszublenden, oder besitzen diesen Fehler nicht.
Es gibt ausgesprochen wenige Fälle, in denen Bildwerke einer stilistischen Epoche formal so eng beieinanderliegen, dass sie nicht auseinanderzuhalten sind. Mir fallen George Braque und Pablo Picasso während der Phase des Kubismus ein.
Finden wir uns damit ab. Kunst beruht auf einem oder mehreren Fehlern.
Dem „Fehler“ des individuellen Andersseins im Zusammenspiel mit dem ungenauen Übertragungsapparat zwischen Hirn und Hand. Diese Fehler können auch durch das Werk eines Künstlersubjektes mäandern und über die Zeit variieren.
Die Angst vor dem weißen Blatt ist natürlich. Denn der erste Strich ähnelt einer Defloration.
Das zu bearbeitende Material hat dabei eine besondere Bedeutung. Eine sorgsam grundierte und wertige Leinwand ist herausfordernder als ein weißes Blatt Papier. Demzufolge eignet sich die Zeichnung um einiges mehr zum Experiment als die, anspruchsvoller erscheinende Malerei. Denn die Hemmschwelle, das Gezeichnete zu verwerfen, ist niedrig, ruck zuck, das Papier zerrissen und in den Abfall geworfen.
Der Entwurf für die Malerei
Es gibt zwei Möglichkeiten (oder mehr) Entwürfe für Malereien anzufertigen. Einerseits kann man auf einer vorbereiteten Leinwand eine Entwurfszeichnung entwickeln und dann Schritt für Schritt die Malerei beginnen.
Die Entstehung eines Gemäldes ist auf meinem Blog unter „Die Bildwerdung anhand eines Mikadostäbchens erklärt“ beschrieben.
Die zweite Möglichkeit ist, eine Zeichnung im Vorhinein anzufertigen und diese auf die vorbereitete Leinwand zu übertragen.
In der Regel wird die im Maßstab kleinere Zeichnung reproduziert und auf die Leinwand projiziert. Entwürfe dieser Art haben einen eigenen Kunstcharakter und sind nicht nur Dokument der Entstehung, sondern selbst Werk. Skizzen begleiten den Prozess der Bildfindung. Man nähert sich zeichnend einer Idee an und lässt sie wachsen.
Ausgewählte Originale erhalten Sie auf dem Shop des Soll und Haben Verlags unter – Gatzemeier Originale auf Papier.