Das Gemälde von Thomas Gatzemeier – Die Hitler kommen und gehen , aber das deutsche Volk bleibt – gehört zur seiner Diplomarbeit. Einerseits bezieht er sich in diesem Werk auf den Roman die „Blechtrommel“ von Günter Grass, welcher zu dieser Zeit in der DDR noch auf dem Index der verbotenen Bücher stand. Andererseits reflektierte er die Diktatur des real existierenden Sozialismus und den latenten Nationalismus der bis heute ein Problem darstellt. Nach harten Diskussionen mit seinem Professor Arno Rink über die entstehenden Arbeiten lehnte dieser eine weitere Betreuung ab. Thomas Gatzemeier beendete das Studium ohne Betreuung. Die Stasi konfiszierte seine schriftliche Diplomarbeit „Essays über den Tod“ und warnte in Aktenvermerken vor dem „negativ-dekadenten“ Künstler.
Das Bild – Die Hitler kommen und gehen – wurde als Angriff auf den Sozialismus gewertet und als Ausdruck eines historischen Fatalismus im Zentralorgan der SED Neues Deutschland und der Kulturzeitschrift Sonntag kritisiert.
Die Hochschule für Grafik und Buchkunst ist nicht nur eine der ältesten Kunsthochschulen Deutschlands, sondern galt zu DDR-Zeiten auch als die liberalste auf dem Gebiet der SBZ.
International wurde sie in den 1970er und 1980er Jahren durch die Professoren Heisig, Tübke und Mattheuer bekannt. Bis 1989 war die Struktur ihrer akademischen Ausbildung einzigartig. Die Ausbildung gliederte sich in ein zweijähriges intensives Grundstudium dem, so man dieses überstanden hatte, ein dreijähriges Fachstudium bei einem der Professoren folgte. Im Fachstudium wurden maximal 7 Studenten pro Jahrgang von einem Professor intensiv betreut. In der Zeit als Thomas Gatzemeier an der HGB studierte gab es zwei Fachklassen. Diese wurden von Bernhard Heisig oder Arno Rink geleitet.
Das Studium endete mit dem Abschluss eines Diploms. Die Diplomaufgabe beinhaltete neben anderen Arbeiten mindestens eine als Malerei ausgeführte Komposition mit mehreren Figuren sowie eine schriftliche Arbeit. Das Thema wählte sich in der Regel der Diplomand selbst.
Thomas Gatzemeier beschäftigte sich damals mit der Diktatur des real existierenden (Nationalen) Sozialismus. Nach der Lektüre von Viktor Klemperer LTI und dessen Analyse der Sprache des 3. Reiches wurde dem jungen Künstler klar wie eng die Berührungspunkte der vergangenen Diktatur mit der Situation in der DDR waren. Eine logische Schlussfolgerung war es also, sich auch bildhaft mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
So entstand das Bild – Die Hitler kommen und gehen – um die Kontinuität diktatorischer Auswüchse und dem fortdauernden nationalistischen Gedankengut in der DDR Ausdruck zu verleihen.
Rechts ein Fotodokument des Bildes Beerdigung von Thomas Gatzemeier während der Diplomausstellung des Jahres 1980 in der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Heute ist dieses Bild die Rückseite des Gemäldes „Sommertag“ von 1983. Dieses Bild ist Eigentum der Stadt Döbeln und im Rathaus auf der Etage des Stadtmuseums zu besichtigen.
Seit dem Suizid seines engsten Freundes, Günter Frühauf, beschäftigte sich Thomas Gatzemeier verstärkt mit Tod und Vergänglichkeit. 1980 entstand das großformatige Bild „Begräbnis“. Dieses Bild wurde nicht unwesentlich von dem Bild „Ein Begräbnis in Ornans“ von Gustave Courbet beeinflusst.
Der zweite kleine Werkzyklus setzte sich aus mehreren Radierungen und einem großformatigen Gemälde zu dem Thema Holocaust und 3. Reich zusammen. Ausgangspunkt der Komposition „Die Hitler kommen und gehen“ war eine Familienfotografie aus jener Zeit. Der Trommler im Vordergrund steht in einem direkten Bezug zu dem Roman „Blechtrommel“ von Günter Grass. Dieses Buch war damals in der DDR noch verboten.
Als Gatzemeier Prof. Arno Rink sein Diplomvorhaben und die Entwürfe vorstellte, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen wegen der von ihm gewählten Themen und ihrer Potenzellen Provokanz im DDR-Kunstbetrieb. Obwohl die Kunstschule für die Verhältnisse liberal war und auch die Professoren hin und wieder, in jedoch stark verschlüsselten Metaphern, von der offiziell gewünschten sozialistischen Thematik abwichen schien Thomas Gatzemeier für den Jungprofessor Rink einen Schritt zu weit gegangen zu sein. Dieser lehnte den weiteren Unterricht ab.
Grafik
Portrait
Thomas Gatzemeier im Atelier der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei der Arbeit an seinem Diplombild „Die Hitler kommen und gehen, aber das Deutsche Volk bleibt“ (F.J. Stalin)
Diplomarbeit „Essays über den Tod“ als PDF
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Eigentlich waren die theoretischen Diplomarbeiten an der Hochschule für Grafik und Buchkunst gedacht, die Entwicklung und technische Umsetzung der anzufertigenden Diplombilder zu dokumentieren.
Gatzemeier beschäftigte sich seit früher Jugend mit Literatur, also lag es nahe, dass Thema Tod an Beispielen der Literatur abzuhandeln. In Form eines Essays trug er literarische Beispiele zusammen und fügte diesen eigene Gedanken hinzu.
Der Tod war in der DDR tabuisiert. Er passte nicht in das scheinoptimistische Bild des real vegetierenden Sozialismus.
Da das Thema der Vergänglichkeit in einer Arztfamilie, der Gatzemeier entstammt, alltäglich ist, war er damit vertraut. Seine Schwester thematisierte, als Neurologin, wiederholt die Problematik des Hirntodes. Die moderne Maschinenmedizin wurde im Familienkreis heftig diskutiert. Nicht zuletzt setzte sich Thomas Gatzemeier auch intensiv mit dem Tod auseinander, weil sein Freund, mit dem er studierte, 1978 den Freitod wählte.
Diese Diplomarbeit sorgte für Aufruhr an der Hochschule und führte zu einem Verbot derartiger Themen. Jedoch stand die betreuende Dozentin seiner schriftlichen Diplomarbeit, Frau Dr. Anneliese Hübscher, eine Kunstwissenschaftlerin, voll hinter Gatzemeier`s Vorhaben und empfahl ihm sich beim Literaturinstitut vorzustellen und da ein zweites Studium aufzunehmen. Wegen einer ausgeprägten Rechtschreibschwäche – und weil er seiner jungen Familie nicht weitere Jahre des Studiums zumuten wollte – verzichtete er auf den Versuch an dem Institut angenommen zu werden.
Neben der Arbeit im Atelier verbrachte er viel Zeit in der deutschen Bibliothek. Auf Antrag wurden ihm vom Rektorat der Hochschule sogenannte „Giftzettel“ ausgestellt, welche ihm ermöglichten auch auf dem Index stehende Bücher in einem separaten Lesesaal durchzuarbeiten. Zu diesen indizierten Büchern gehörte zum Beispiel auch der 1910 von Reiner Maria Rilke veröffentlichte Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge.
Später veröffentlichte Gatzemeier zwei Romane, „Der Sekretär“ und „Morgen, morgen wird alles zum guten Ende kommen!“ und den schmalen Band Erzählungen „Der Uneinsichtige“
Dokumente
Gatzemeier beendete sein Vorhaben und bekam nach einer skurrilen öffentlichen Diplomverteidigung ein schlecht benotetes Diplom. Eine 3.
Trotz dieser Differenzen wurden die Arbeiten im Rahmen der Diplomausstellung gezeigt. Erwartungsgemäß reagierte die Kulturbürokratie harsch. In zwei Artikeln im Neuen Deutschland und dem Sonntag wurden Gatzemeiers Arbeiten aber vor allem die Professoren, die jene „zugelassen“ hatten scharf angegriffen. Von historischem Fatalismus war die Rede. Und bei der Stasi wurde seine Arbeit aktenkundig.